Göttinger Linke kritisiert Demokratieverständnis von SPD/CDU/FDP
In der gestrigen Sitzung des Stadtrats kam es noch einmal zur ausführlichen Aussprache über den Umgang mit der am Waageplatz gelegenen ehemaligen JVA. Eine große Zahl interessierter Bürger*innen nutzte die Fragestunde, um wenigstens nach der im nichtöffentlichen Verwaltungsausschuss getroffenen Entscheidung Antworten auf brennende Fragen zu bekommen.
Sowohl parlamentarische Opposition als auch die Initiative für ein Soziales Zentrum stellten aus ihrer jeweils eigenen Perspektive fest, dass Verwaltung und die Koalition der drei mehrheitsbildenden Fraktionen alles dafür getan haben, dass es keinen fairen Wettbewerb um die beste und überzeugendste Zukunft für das ehemalige städtische Gefängnis geben sollte. Die einen konnten auf Nachfrage nur bestätigen, dass es seit einem halben Jahr Veranstaltungen exklusiv für Ratsmitglieder gab, bei denen jeweils der gleiche Privat-Investor seine wechselnden Pläne für das Gebäude unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorstellen durfte. Die anderen, nämlich die Menschen, die mit viel Hingabe seit Jahren an der Idee einer sozialen Nutzung des Gebäudes herum denken und Vorbereitungen vorwärts treiben wollten, wurden von der Verwaltung hingehalten, bis die nun getroffenen Vorentscheidungen für einen Verkauf an den Privat-Investor kurz bevorstanden.
Während der offizielle Beratungsstand seit dem Jahr 2019 mit dem Ergebnis einer Vorbereitenden Untersuchung (VU) und der ausstehenden Machbarkeitsstudie für ihre Ideen vielversprechend erschienen, konnten sie nur ahnen, was sich hinter den Kulissen abspielte. Sie wurden jahrelang mit der Auskunft abgespeist, dass die Verwaltung unter anderem wegen Corona zu diesem wichtigen Projekt der Stadtentwicklung noch keine weiteren Schritte einleiten könne.
Jost Leßmann, baupolitischer Sprecher der Göttinger Linken, kritisiert den durch die sogenannte Deutschland-Koalition durchgesetzten Beschluss: „Da man sich nun festgelegt hat, dass ausschließlich mit dem einen privaten Investor weiterverhandelt werden soll, hat man sich erpressbar gemacht und viel Verhandlungsmacht ohne Not abgegeben. Frau Broistedt hat in der Ratssitzung die Auskunft gegeben, dass sie sich schon jetzt der erpresserischen Haltung des Investors gebeugt habe. Denn wenn die Stadt beide Optionen, Soziales Zentrum und Coworking-Space, offengehalten hätte, wäre nach ihrer Aussage der Investor abgesprungen.“
Edgar Schu stellt als Fraktionsvorsitzender die kritische Frage: „Wer hat die Öffentlichkeit zu fürchten? Wenn die Verwaltung und die Fraktionen, die dem Investor offenbar den Vorzug geben wollten, sich der Qualität ihrer Argumente sicher gewesen wären, hätten sie den gesamten Prozess von Beginn an in öffentlichen Gremiensitzungen führen können. Ebenso hätten sie sowohl dem Privat-Investor als auch den Initiativen für ein Soziales Zentrum den gleichen Raum geben können, ihre Konzepte dem Rat vorzustellen. Chancengleichheit wurde aber von vornherein gar nicht erst zugelassen.“
Torsten Wucherpfennig, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion: „Bei dieser Hörigkeit gegenüber finanzstarken Investoren, wie auch schon am Weender Tor, entsteht bei uns der Eindruck, dass die entsprechenden Akteure, sobald jemand mit hohen Millionensummen wedelt, weniger kritisch hinschauen. Sicherlich geht es aber zu allerletzt um Bürgerbeteiligung oder schlüssige Konzepte. Als ehrenamtliches Ratsmitglied muss man sich in Zukunft fragen, ob man seine Freizeit nicht sinnvoller verbringt, da die wichtigen Beschlüsse von wenigen hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Das hat mit Demokratie wenig zu tun.“